Eine Welt im Prozess des fade out

(von Günther Sommer / Kurator - Oktober 2016)

 

Bei Alexander Sterzel werden wir mit dem „schönen“ Schein der Kunst konfrontiert.

Das Abbild der Welt - mit dominantem Bildmotiv der menschlichen Figur-  spielt eine bedeutende Rolle in unterschiedlicher realistischer Ausprägung.

Sterzel verabsolutiert keine Elemente der Wirklichkeit, er ist kein positivistischer Bejaher einer unhinterfragbaren Welt. Er ist eher ein Relativierer. Absolute visuelle Eindeutigkeiten sind nicht seine Sache, dies hängt auch mit seiner Arbeitstechnik zusammen.

In Malerei und Übermalungen entdeckt Alexander Sterzel Welten hinter unserer Realität, die von ihm so definierten „montierten Wirklichkeiten“.
In ihnen zerfließen die Grenzen zwischen Rationalem und Irrealem.

In der „fremdartigen anatomischen Wildnis“, den Vintage-fotomanipulations – wie Sterzel diese Serie nennt – erscheint der Mensch als Handlungsträger und Bedrohter.
Die Arbeiten, erscheinen als Analogien und Sinnbilder unbekannter privater und tragischer Schicksale oder Alpträume. Der Mensch an der Grenze zwischen Leben und Tod. Eine dieser Serien heißt konsequenterweise „STYX“

Die Bildwelt zwingt zum genaueren Hinschauen und zur Konzentration auf die Details: So finden sich Textfragmente in unterschiedlichen Sprachen, oft kaum zu dechiffrierende medizinische Darstellungen, mathematische Formeln, militärische Anleihen und subjektive vom Künstler selbst generierten Symbole oder „Codes“.

Sterzel gruppiert vor seine oft in Auflösung begriffenen Hauptfiguren weitere Nebenfiguren mit rätselhaften Attributen: Mädchen im Comic-Stil, stilisierte Umrisszeichnungen, wie man sie in Medizinbüchern findet, Männer und Frauen in Fetischklamotten.

Sterzels Bilder erscheinen wie Fragen nach der menschlichen Existenz, und der mit ihr verbundenen Grausamkeit (Analogien zum Surrealismus eines Max Ernst sind unverkennbar aber auch zur PopArt oder zum Comic) – bildnerische Annäherungen, die philosophische, literarische, geschichtliche, medizinische, religiöse und mathematische Ansätze kombinieren, Fragen aufwerfen und /oder Verwirrung stiften.

[(Zitat: Reinhard Kalb- Fürther Nachrichten, 2016)  “ Do you believe in Magic?“ Eine Frage auf einem Bild, in schwarzer Schrift auf hellem Grund. Darum herum befinden sich: zwei Äpfel, eine nackte Dame, ein Schutzengel, der die arme Seele zum Himmel trägt, sowie zwei weitere Schriftzüge in Latein: „In silentio fortitudo“ (In der Stille liegt die Kraft) und „Et spe erit vestra“ (Und Hoffnung wird mit euch sein). Das alles klingt sehr religiös, anders gesagt: Es handelt vom Kontakt zwischen Diesseits und Jenseits. „In silentio fortitudo“ war angeblich ein Motto Martin Luthers. Und wer ganz genau hinsieht, entdeckt in der Bildmitte ein Auge und die untergegangenen Reste des Lutherbildnisses von Lukas Cranach. Engel mit Kind im Arm, das appelliert an die Sehnsucht nach Schutz und Bemutterung. Äpfel: Baum der Erkenntnis. Latein: Sprachmagie."]

Aus der ursprünglichen Aggressivität, in dieser Sterzelschen „Wildnis“ der menschlichen Unzulänglichkeit, geplagt von Gewalt, Krankheit und Irrungen wird in Sterzels aktueller Malerei eine nachdenkliche Form der Vanitas, der Vergänglichkeit alles Menschlichen. Beispiel Gustav Mahler mit Playboyhäschen, ein Schamane und Buddha. Eine Welt im Prozess des fade out: Endzeitbewußtsein kündigt sich an.

Sterzel lädt uns in eine surreale Welt des Entstehens und wieder Vergehens ein. Die Faszination des Dauerns und die endgültige Wertungen bleiben außen vor. Sterzel geht es als Suchender um Kommunikation aber um gleichzeitig eben ihre Relativierung, durch die Kunstgeschichte vorgegeben. Erkenntnis hat immer subjektive Dimension.

Günther Sommer

1952  in Stuttgart geboren

1972-1977  Studium an der Kunstakademie Düsseldorf, Meisterschüler von Prof. R. Sackenheim

1977-1979  Studium der Anglistik und Kunstgeschichte in Tübingen und Stuttgart