Eröffnung der Ausstellung Alexander Sterzel Glasperlenspiel Asperg 14.November 1993 von Rudolf Wesner
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Am 31.Januar dieses Jahres dürfte ich bereits eine Ausstellung mit neuen Bildern von Alexander Sterzel im Rathaus Freiberg eröffnen. Damals, sagte ich, von einem Multitalent im Falle dieses jungen Künstlers zu sprechen wäre zwar vollkommen gerechtfertigt, doch habe er diesen Ausdruck für unerwünscht erklärt. Heute lasse ich mich von solcher Art sympathischer Bescheidenheit einfach nicht mehr davon abhalten, hier das Kind beim richtigen Namen zu nennen. In Alexander Sterzel, der in Asperg aufgewachsen ist, sehen Sie ein Multitalent vor sich. Sie erleben ihn schließlich in den nächsten Stunden als Maler, als Komponist, als Textdichter, Musiker und Regisseur. Ich kenne Alexander Sterzel seit mehr als sechs Jahren. „Seelenlandschaften“ nannte er im Februar 1987 seine Ausstellung in Ludwigsburg. Obschon sich der Ausdruck, der Stil, auch die Technik geändert haben, das Grundthema hat sich für Alexander Sterzel nicht geändert. Nach wie vor geht es ihm um den Menschen als Individuum, nicht als Masse, auch nicht als deren Teil. Der einzelne von Alexander Sterzel in einem seiner aufregenden Bilder dargestellte Mensch ist im Raum oder in einer Situation gefangen, ja regelrecht eingezwängt. Er ist auf sich selbst gestellt, muß selbst sehen, wie er einem Zwang, einer Einengung, entfliehen kann. Betrachtet man hingegen die neuen Bilder von Alexander Sterzel sehr intensiv, nimmt man doch die eigenen, im Bild vermerkten Texte hinzu, erkennt man den ganzen Umfang der Zweifel nicht nur seiner selbst, sondern den der jungen heranwachsenden Generation, der heute Mittzwanziger, die kaum noch daran glauben möchte oder kann, dass dem Menschen, der sich in einer bedrückenden, sogar in einer extremen Situation befindet, geholfen werden kann. Was aber Alexander Sterzel nicht artikulieren möchte ist, man verhalte sich möglichst stromlinienförmig und windschlüpfrig innerhalb dieser Gesellschaft und gerät damit nicht in eben jene unbequeme Situation, in die Bredouille, wie man im schwäbischen gerne sagt. Zwei „Altmeister“ der Malkunst, die in unserer Region leben und arbeiten, hatten grossen Einfluß auf den Werdegang Alexander Sterzels: Rasso Rothacker aus Kornwestheim und Erich Breyer aus Ludwigsburg. Sie gaben ihm wesentliche Anschübe zur künstlerischen Entfaltung, verhalfen ihm zu handwerklichem Rüstzeug und vor allem war es Erich Breyers Malstil und Ausdrucksform, die auf Alexander Sterzel inspirierend wirkten. Wie erwähnt, schon in seinen frühen Bildern vom Menschen äußerte Alexander Sterzel seine tiefe Betroffenheit von der Kälte in den Seelenlandschaften seiner Zeitgenossen. Die Farben waren damals wie heute eher von dunklen Tönen beherrscht, obschon helle und leuchtende Farben nicht fehlten. Damals wie heute hielt sich der Maler auch mehr an das Figurative. Seine Bilder enthielten aber auch immer ein Quantum an surrealistischen Elementen. Im Jahr 1990 gab es im Schaffen von Alexander Sterzel eine Zäsur. Vom Öl wandte er sich ab und er begann eine völlig eigenständige Handschrift in seinen Werken zu entwickeln. „Märchen, Mythen, Träume“ waren die Quellen für seine Schöpfungen und so lautet ja auch der Titel dieser Ausstellung. Die Formate wurden kleiner, den Pinsel ersetzte Alexander Sterzel häufiger durch den Zeichenstift, viele seiner neuen Bilder sind mit der Collage verwandt, im Ausdruck treten zunehmend ironische und satirische Züge auf, die in ihrer höhnischen Art respektlos bösartig sein können. Verfremdungen, Verzerrungen, Reduzierungen von Figuren und Formen sind unübersehbare Kennzeichen für eine fortgeschrittene Virtuosität des Künstlers im Umgang mit Techniken und Motiven. Neu in den Arbeiten von Alexander Sterzel ist jedoch, dass das geschriebene Wort darin einen gleichberechtigten Platz neben den bildnerischen Mitteln einnimmt. Er hat keineswegs auf ein bis dahin unbekanntes Stil- und Ausdrucksmittel zurückgegriffen, das haben andere Künstler unseres Jahrhunderts auch schon getan. Dazu ein erklärendes Zitat: „Kunst manifestiert sich im Doppelten von Konzeption und Erscheinung. Der Symbolmodus des Werkes ist nicht mehr allein durch den Akt des Sehens zu erfassen, sondern durch ein Sehen im Rahmen kontextueller Bezüge. Sehen und Denken werden durch die Anbindung an die Sprache als einem zweiten semiologischen System miteinander verbunden,. Vor diesem Hintergrund einer prinzipiellen Änderung des Kunstbegriffes ist das Eindringen von Sprache in die bildende Kunst am Beginn dieses Jahrhunderts zu betrachten.“ Soweit das Zitat und dazu noch eine Begriffserklärung: die Semiologie ist eine Zeichentheorie aus der Sprachwissenschaft, also die Lehre von den Zeichen: die Sprache dient als Mittlerin zwischen der visuellen Wahrnehmung eines Bildes und dem Erkennen der darin erhaltenen Zeichen, Symbole und Gleichnisse. Bei Alexander Sterzel haben die integrierten Textteile aber nicht die Aufgabe, Erklärungen oder Entschlüsselungen der Bildaussage zu vermitteln, sondern sie sollen diese erweitern, möglicherweise auch in Frage stellen, wenn nicht sogar widersprechen. Die Texte stehen für sich, führen allenfalls einen Dialog mit dem Bild selbst. Jedes dieser neuen Werke erzählt im eigentlichen Sinne eine geschlossene Geschichte. Wir sehen menschliche Gestalten und solche von märchenhafter Art, Engel, Kobolde, Gespenster. Traumsequenzen scheint Alexander Sterzel festgehalten zu haben. Aber die Figuren und Gestalten befinden sich stets in extremen Situationen, die sie entweder selbst herbeigeführt haben oder die ihnen schicksalhaft aufgezwungen wurden. Es können Momente ihrer Gefühle oder ihres Denkens sein, die der Künstler zu Bildern umformte. Hierfür fand er im Surrealismus den geeigneten Stil., sich zu artikulieren. Alle diese Bilder sind keineswegs leicht zu entschlüsseln, sie verlangen vom Betrachter intensive Auseinandersetzung, ein von keinerlei Schablonen eingeschränktes Mitdenken, ja eigentlich muß man „um die Ecke denken“, aus der eigenen Realitätsebene heraustreten, um einen fremde kennenlernen zu können. Alexander Sterzel betonte im Vorgespräch, mit diesem Bildern wolle er im kafkaischen Sinne „ das Irreale zum Realen führen“. Erlauben Sie mir noch ein paar Hinweise auf die immense künstlerische Vielseitigkeit Alexander Sterzels . er produziert auch Videofilme nach eigenen Drehbüchern und befasst sich sehr intensiv mit der Philosophie. Alle diese Bereiche seines geistigen Tuns stehen in einer engen Verzahnung zueinander, befruchten sich gegenseitig und lassen auf diese Weise ein Gesamtwerk entstehen, wie es in einer Ausstellung nicht im Zusammenhang dargestellt werden kann. Durch die Beschäftigung der Philosophie näherte sich Alexander Sterzel auch Friedrich Nietzsche. Er gilt ja in besonderer Weise als Zeuge für die Suche des modernen Menschen nach einem neuen Selbstverständnis. Deshalb gebe ich noch ein Zitat diese Philosophen des 19.Jahrhunderts wieder, auf das mich Alexander Sterzel besonders hinwies, weil es ihm als ein Leitgedanke für sein künstlerisches Schaffen dient: „Die Kunst ist nichts als die Kunst! Sie ist die große Ermöglicherin des Lebens, die große Verführung zum Leben, das große Stimulanz des Lebens. Die Kunst als die Erlösung des Leidenden, als Weg zu Zuständen, wo das Leiden gewollt, verklärt, vergöttlicht wird, wo das Leiden eine Form der großen Entzückung ist.“ |