Eröffnung der Ausstellung

Alexander Sterzel

im Festsaal des Karlshöher Seminars

15.September 1995 von Rudolf Rasso Rothacker

 

 
 
 
 
Lieber Alexander Sterzel, meine Damen und Herren,

vor vielen Jahren ließ ich mich auf ein Abenteuer ein, daß nicht immer frei von Zweifeln war. Ich wurde dazu verdonnert, in einer Schule Kunstunterricht zu erteilen.

Auf meinen ,,Spaziergängen" durch den Klassenraum fiel mir immer wieder ein junger Schüler auf, der meist still in sich gekehrt dasaß und arbeitete, ohne sich weiter um den Trubel herum zu kümmern. Ich schaute ihm oft über die Schulter und war erstaunt über die reife Ernsthaftigkeit, die da zutage trat. Ab und zu kamen wir miteinander ins Gespräch. Die Verbindung blieb - wenn auch mit Pausen - über lange Zeit erhalten. Sie ahnen jetzt sicherlich um wen es sich handelt: Es ist der Maler unser heutigen Ausstellung. Nun aber wäre die Bezeichnung ,,Maler" beinahe etwas eng geraten: Vor Jahren konnte man den etwas spitzbübisch klingenden Satz hören: ,,Die Maler machen Musik und die Musiker malen (ohne gleich Mahler heißen zu müssen).

Nun, in diesem Sinne ist Alexander Sterzel beinahe ein verspäteter Renaissancemensch im Sinne des homo universalis. Er macht Musik, komponiert sogar selbst. Ein Beispiel hierfür ist die vor einiger Zeit in unserem Raum aufgeführte Oper ,,Der umgestaltete Mißgestalte". Seit November 1994 arbeitet er an einem sinfonischen Orchesterwerk, das wiederum sehr hörenswert zu werden verspricht, wie ich bei einem Besuch vor Wochen feststellen durfte. Aber eigene Betätigung ist ihm ebenso wichtig: seit einem Jahr spielt er als Schlagzeuger bei den Royal Garden Ramblers.

Aber jetzt zum Eigentlichen des heutigen Abends, zu seiner Malerei.
In ihr steht der Mensch vor allem im Mittelpunkt. Sein Ausgeliefertsein und seine Ängste. Dabei ergeben sich merkwürdige skurrile Aspekte. Die Glasaugen einer toten Tante fügt er beispielsweise in den Kopf einer Plastik ein. Für so manchen Betrachter hat dies sicherlich etwas Makaberes an sich.
Aber Alexander Sterzel entwickelt daraus im Laufe der Zeit eine eigene Philosophie und schreibt darüber:
In wieweit man nun in die Tiefenpsychologie einzudringen bereit ist, bleibt fraglich. Die lieben Augen der Mutter sind für das Neugeborene ein vertrauter, sicherer Eindruck. Das einzelne Auge hingegen ist etwas Beobachtendes, Wärmendes - gelegentlich auch etwas Bedrohliches. Auch das Auge Gottes ist in der Symbolik ein einzelnes Auge. Wer seine Augen verbindet, schärft somit seine anderen Sinnesorgane (im Vergleich dazu: der Blinde ).Mit den Augen sucht man unter Umständen sein ganzes Leben nach irgend etwas. In den Augen steht eigentlich alles über einen Menschen. Wenn man genau beobachtet, kann man alles daraus lesen. Wer seine Augen bedeckt, hat manchmal etwas zu verbergen.

So weit also Alexander Sterzel. Es geht ihm demnach in seiner Arbeit vor allem um den Menschen als Individuum. Er erscheint in den ausgestellten Bildern - meist in Gouache oder Acryl -oft auf sich selbst gestellt. Gleichsam ausgeliefert. Kafka und auch Nietzsche klingen an. Alexander Sterzel will so ,,das Irreale zum Realen führen". Text-Einschübe runden dieses Bestreben ab. Manches Mal wirken sie nicht nur erklärend, sondern auch verwirrend.

Dabei ist das Bild immer zuerst da, gleichsam als eine Art visuelle Poesie, die Texte werden nachträglich eingeführt.

Weiter sagt Sterzel: ,,Es muß zwischendurch immer wieder etwas Schönes kommen - in der Musik wie in der Malerei, auch wenn ich es anschließend wieder zerstöre"
So wird zum Beispiel bei den neueren erotischen Bildern nicht in erster Linie äußerliche Schönheit zum Maßstab aller Dinge genommen, vielmehr sind die oft ironisierend dargestellten Frauen gequälte Kreaturen, Spiegelbilder unserer heutigen kalten Seelenlandschaften.

Es bleibt nicht aus, daß diese Arbeiten uns zunächst etwas verwirren. Bei näherem Sich - damit - befassen aber öffnen sie sich, aufdeckend und erklärend. Hier ist ein junger Zeitgenosse am Werk, der seine Umwelt kritisch beobachtend unter die Lupe nimmt, auch wenn er sich dabei hin und wieder ironischer oder gar satirischer Mittel bedient. So wird es nicht ausbleiben, daß er sich ab und zu dem Unverständnis seiner Umgebung stellen muß. Damit wird er sich abzufinden haben, da muß man durch.

Lieber Alexander, ich wünsche Dir dazu viel Durchstehvermögen und immer wieder Menschen, die Dich wohlwollend und hilfreich unterstützend begleiten.

Zum Schluß möchte ich Dir noch ein Wort von Jean Cocteau auf Deinen Weg mitgeben:
,,Wer sich mit den Musen einläßt, wird sich unwirsch empfangen sehen. Diese Damen bieten einem keinen Stuhl an, schweigend weisen sie auf das gespannte Seil."



Ludwigsburger Kreiszeitung 18.September 1995

Der Mensch im Spiegel schockierender Bilder
Ausstellung von Alexander Sterzel im Karlshöher Seminar - Keine Scheu vor Konfrontation


Wer in den nächsten Wochen die Ausstellung „Alexander Sterzel - Arbeiten 1990 bis 1995“ besuchen will, muß sich in den Räumen des Karlshöher Seminars auf einiges gefaßt machen.

Der Ludwigsburger Künstler ( Jahrgang 1967 ), als Maler, Musiker, Texter und Komponist tätig, erspart den Betrachtern seiner Bilder keine Konfrontation. Die in Fluren, Sälen und Treppenhäusern in großer Zahl gehängten Gouachen und Acry-Werke zeugen von künstlerischer Kompromißlosigkeit, stellen insgesamt eine Einheit dar, wie man sie in Ausstellungs-Kompendien selten erlebt.


Dabei steht der Mensch, stehen Menschliches, Allzumenschliches und auch Unmenschliches im Mittelpunkt. Dies führt die Besucher vor teilweise schockierende Bilder. Seminarleiter Markus Hoffmann sah bei der Begrüßung der wiederum zahlreichen Vernissage-Gäste „den Mensch als Individuum in Situationen eingezwängt, aus denen es kein entkommen zu geben scheint“. Wobei es dem Künstler darum gehe, im kafkaesken Sinne das Irreale zum Realen zu führen.


Also passiert man eine Bildergalerie mit gequälten Wesen, Frauen und Männern, Zwittergestalten und verfremdeten Figuren. „ Many have no speech“ sind zwei Gouachen getitelt. Solche Sprachlosigkeit überträgt sich zunächst zwangsläufig bei der Bildbetrachtung angesichts erregender Reihung von Gesichtern, Fratzen und Körpern.


Da ist unweit der als Maschinenfrau verfremdeten „Kriegsgöttin“ ein verzauberter Priester, dem Hörner aufgesetzt sind. Und was unser gutes altes Evangelisches Gemeindeblatt mit dem in seine Nähe gebrachten abstoßenden „Torso der Begierde“ zu tun hat, dieses und noch einiges mehr gibt schon Rätsel auf. Kann es versöhnen, daß Sterzel für sein Ausstellungsplakat die Notation von Georg Friedrich Händels herrlicher Arie „ Es blaut die Nacht“ gewählt hat? Da heißt es auch „ es brennen die Herzen“.


Brennenden Schmerz lassen Sterzels Bilder spüren. Rasso Rothacker gab Hinweise zum besseren Verstehen dieser Bilderwelt, die Makaberes, Erschreckendes und Skurriles mit wiederum wärmenden Momenten verbindet. „Zwischendurch“, so habe er von Alexander Sterzel erfahren, müsse „immer wieder etwas Schönes kommen, auch wenn ich es anschließend wieder zerstöre“. So könne nicht ausbleiben, daß diese Arbeiten zunächst etwas verwirren. Nicht nur zunächst möchte man meinen. Doch dazu gab Rothacker ein Wort von Jean Cocteau mit auf den Weg: „ Wer sich mit den Musen einläßt, wird sich unwirsch empfangen sehen. Diese Damen bieten einem keinen Stuhl an, schweigenden weisen sie auf das gespannte Seil.“ (rö)

Schier unmöglicher Schritt ins Wesentliche - Ludwigsburger Kreiszeitung 19.09.1995

...Eine pointierte Darstellung in der Kombination von Musik, Sprache und Darstellung wurde anläßlich der Ausstellung Sterzel im Karlshöher Seminar geboten. "Dekados" heißt ein Text des Maler-Musikers Alexander Sterzel, mit dem sich das Duo Rüdiger Frank und Hans-Jürgen "Specht" Bock näher befaßte...

...In dieser Story war vorzuführen, wie eine Figur, frei nach Franz Kafka, von einer irrealen in eine reale Welt geführt wird. Ein gemalter Mensch tritt in die Wirklichkeit, versucht aus dem Unterbewußtsein kommende Lebenszusammenhänge zu begreifen...

Rüdiger Frank verkörperte die Kunstfigur in faszinierender Weise. Wobei in offenbarem Widerspruch zu dessen schier unmöglich erscheinenden Schritten ins Wesentliche die profanen, ja trivial aufklingenden Melodien des Ragtime-Pianos standen. Der nach realem Dasein strebende Mensch wird also davon wieder eingeholt, er muß sein Unterfangen aufgeben, und bei Walzerklängen verschwindet er wieder.

Musikalisch war diese Karlshöher Performance eine Delikatesse, zubereitet in exzellenter Manier von Hans-Jürgen Bock, der wegen seiner stupenden Klaviertechnik "Specht" heißt, einst Pianist der legendären "Old Merry Tale Jazzband" war und nach Gründung seines eigenen Trios nun schon zwei Jahrzehnte als Lehrbeauftragter an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst wirkt.